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Gesundheitsexperten fordern fünffache Nikotinmenge

Vortoß von Gesundheitsexperten in der Schweiz

Ausgerechnet in der Schweiz zeichnet sich eine kleine Revolution der Diskussion um die E-Zigarette ab. Wissenschaftler haben sich eingeschaltet und fordern, was viele in der EU nicht auszusprechen wagen würden.
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Nachdem sich inzwischen die Erkenntnis durchsetzt, dass die E-Zigarette exponentiell weniger schädlich als die klassische Tabakzigarette ist, verschärft sich die Debatte der Experten.

Wie unter einem Brennglas wird der Fokus immer deutlicher, den die beiden Lager einnehmen.
Auf der einen Seite diejenigen, die für den Jugendschutz plädieren und eine angebliche Nikotin Epidemie unter Jugendlichen verhindern wollen.
Auf der anderen Seite diejenigen, die Rauchern eine weniger schädliche Alternative anbieten und damit Menschenleben retten wollen.

Ausgerechnet in der Schweiz wurde dieser Konflikt gestern deutlich. Ausgerechnet in der Schweiz, die den Ruf der Liberalität und Gelassenheit genießt. Ausgerechnet in der Schweiz, die im Vergleich zu anderen europäischen Staaten sehr spät in einen öffentlichen Diskurs und eine Regulierung der E-Zigarette eingetreten ist.

Forderung: Erhöhung um das Fünffache

Heute sollten Befürworter und Gegner ihre Sichtweisen zur Regulierung der E-Zigarette vor der Gesundheitskommission des Ständerats darlegen.
Wie der schweizer Tagesanzeiger gestern berichtet liegen der Redaktion Aussagen und Argumente der Dampfbefürworter vor. Und die haben es in sich.

Eine Gruppe hochrangiger Gesundheitsexperten fordert eine Erhöhung der zulässigen Höchstmenge von Nikotin in Liquids auf 100mg.
Das entspricht der fünffachen Konzentration dessen, was derzeit in der Europäischen Union zulässig ist.

Diese Forderung ist überraschend bis erschütternd.
Erschüttert sie doch alles, was in den vergangenen Jahren als gängige Argumente etabliert und konsensfähig war. Was überhaupt als aussprechbar galt.
Lediglich in Großbritannien kam die Konzentration des Nikotins überhaupt einmal in der öffentlichen Debatte deutlich zur Sprache.
In Deutschland spielt sie im öffentlichen Diskurs keine Rolle und auch die beiden Händlerverbände versäumen es, dies deutlich zu adressieren.

E-Zigarette muss befriedigende Menge liefern

Der Hintergedanke ist ein leicht verständlicher.
Nur eine ausreichende Menge Nikotin ist in der Lage, einem Tabakabhängigen die Befriedigung zu gewährleisten, um auf die weniger schädliche Alternative umzusteigen.

Wie eine jüngst durch den WDR (Aktuelle Stunde) in Auftrag gegebene Analyse zeigte ist es jedoch so, dass eine E-Zigarette der Marke Juul selbst in der höchsten zulässigen Konzentration lediglich das Nikotin einer „sehr sehr leichten Zigarette“ liefert.
Was auch vielen Politikern und angeblichen Gesundheitsexperten nicht bewusst ist: Bei Zigaretten wird die Nikotinmenge im Rauch gemessen. Bei E-Zigaretten wird die Konzentration jedoch im Liquid gemessen. Es ist also weiter davon entfernt, was tatsächlich im Kreislauf ankommt.
Gegner der E-Zigarette argumentieren an dieser Stelle also bereits an den Fakten vorbei.



Bisher wird die Debatte auch beherrscht von weit verbreiteten Fehleinschätzungen zum Nikotin.
Während immer mehr Forscher Nikotin in Abwesenheit von Tabak eher mit Coffein auf eine Stufe stellen, halten viele Laien, Politiker und Ärzte Nikotin nach wie vor für stark suchtfördernd und krebserregend. Entgegen dem aktuellen wissenschaftlichem Kenntnisstand.
Selbst der hoch verehrte Suchtforscher Fagerström hat inzwischen seinen Test zur Nikotinabhängigkeit umbenannt in Test für Tabakabhängigkeit. Was offenbar auch an vielen Ärzten vorbeigegangen ist.

Namenhafte Befürworter

Diese Befürworter haben nun ein Papier herausgegeben. Es trägt den Titel „Für ein Tabakproduktegesetz zum Schutz der Jugend und der öffentlichen Gesundheit“.
Was diesem Papier Brisanz verleiht ist die namenhafte Versammlung der Gesundheitsexperten, die dies unterstützen. Und ihr Leumund.

Einer der Urheber ist Thomas Zeltner, der frühere Direktor des Bundesamts für Gesundheit. Der obersten Gesundheitsbehörde der Schweiz.
Er ist selber Arzt, Rechtsanwalt und hochrangiger Politiker. Wiederholt wurde er unter die zwölf einflussreichsten Personen der Schweiz gewählt.
Er war es, der durch strenge Maßnahmen während seiner Amtszeit von 1991 bis 2009 die schweizer Raucher vor sich hergetrieben hat. Ein Mann also, dem man kaum eine Nähe zur Tabakindustrie oder zur Verharmlosung von Süchten vorwerfen kann.

„Wir wollen erwachsenen Rauchenden den Zugang zu Produkten gewähren, die nach heutigem Wissensstand weniger Gesundheitsschäden verursachen als brennbare Tabakprodukte.“
Milo Puhan, Direktor des Instituts für Epidemiologie, Biostatistik und Prävention, Universität Zürich

Das Papier wurde unter anderem unterzeichnet von Experten für Öffentliche Gesundheit wie Prof. Dominique Sprumont, Direktor des Instituts für Gesundheitsförderung der Universität Neuchâtel und Prof. Jean-Francois Etter von der Uni Genf, einem führenden Forscher über Nikotinersatzprodukte und Buchautor der seit 22 Jahren in diesem Bereich tätig ist.
Spannend also, dass sich hier die Wissenschaft zu Wort meldet. Und offenbar zu völlig anderen Ergebnissen kommt als etablierte Gegner wie Ärzte und Gesundheitslobbyisten.

E-Zigarette
Thomas Zeltner, ehemaliger Direktor des Bundesamts für Gesundheit, Arzt und Rechtsanwalt.

Zudem habe der Grenzwert laut dem Papier sogar darüber hinaus negative Auswirkungen auf einen möglichen Mitnahmeeffekt. Denn es würden dadurch keine neuen Produkte entwickelt, die mit noch weniger Dampf auskommen. „Ein Grenzwert von 100mg/ml ermöglicht die Zulassung neuer Produkte und zugleich den angemessenen Schutz der Konsumentinnen und Konsumenten sowie ihres Umfelds», heißt es im Papier dazu. Innovation wird verhindert.

Darüber hinaus stellt die Stellungnahme der Wissenschaftler klar, dass es für die Begrenzung der EU auf 20mg keine wissenschaftliche Begründung gebe.

Gegner mit üblichen Argumenten

Erwartungsgemäß hatten die Gegner der E-Zigarette sich bereits positioniert.

Genau vierzig Ärzte hatten sich in einem veröffentlichten Brief an die Kommission gewendet. Darin wird die bekannte Karte des Jugendschutzes gezückt.
Die zu erwartenden Schäden seien alles andere als geringfügig, wenn der Staat es zulasse, „dass solche Produkte die Nikotinsucht im besonders empfindlichen Gehirn der Jugendlichen verankern.“

Zu dem erwähnten Papier der Wissenschaftler gab der Direktor der Stiftung Sucht Schweiz, Grégoire Vittoz, sich nicht nur verhalten. Sondern er machte die Prioritäten sehr deutlich klar.
Die Frage der Höhe des Nikotingrenzwerts in E-Zigaretten sei sekundär in der ganzen Debatte.
Die wichtigste Frage laute, wie Jugendliche vom Konsum von E-Zigaretten ferngehalten werden können. Die vom Bundesrat im Gesetz vorgeschlagene EU-Norm von 20 Milligramm sei die richtige Richtung.

Wie die politischen Entscheidungen in der Schweiz weiter verlaufen werden ist nicht abzuschätzen.
Was in der Debatte hier geschieht ist jedoch ein klares Zeichen. Und es ist ein nicht zu unterschätzendes Zeichen.

Dass sich nun unabhängige Wissenschaftler in breiter Front und öffentlich in den Diskurs einschalten und Ärzten und Gesundheitslobbyisten widersprechen sollte den Politiker deutlich machen, dass es eben nicht so einfach ist.


Drogenbeauftragte will Obergrenze für Nikotin prüfen: https://www.vapers.guru/2019/01/21/drogenbeauftragte-will-obergrenze-fuer-nikotin-pruefen/
WHO fordert Verbot von E-Zigaretten: https://www.vapers.guru/2018/10/05/who-fordert-verbot-von-e-zigaretten/

Kleine Anfrage: Regierung hat keine Ahnung von der Umsetzung der TPD

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Joey Hoffmann

Begründer und inhaltlich Verantwortlicher bei vapers.guru
Freier Redakteur, zuvor angestellter und selbstständiger Marketingberater und Mediengestalter, Fachbereich Facebook und Wordpress. Mitglied des Deutschen Fachjournalisten-Verbandes.

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