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Gerüchteküche: Werden PG und VG demnächst vergällt?

Ein Gedankenexperiment

Die Gerüchteküche kocht. Auf Social Media wird gemutmaßt, dass Propylenglykol und Glycerin vergällt werden könnten. Damit sie nicht an der Steuer vorbei zum Selbermischen verwendet werden können.

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Mitte des kommenden Jahres wird die so genannte Liquidsteuer wirksam.
Inzwischen hat die Generalzolldirektion bestätigt, dass die Verwendung von unversteuerten Zutaten in einer E-Zigarette eine Steuerstraftat darstellt.

Nun werden die Gerüchte laut, dass die Grundstoffe des Liquids, Propylenglykol und Glycerin, vergällt werden sollen, wenn sie nicht entsprechend versteuert werden. Also für den Gebrauch zur Inhalation unbrauchbar gemacht werden sollen.

Gestern veröffentlichte der Händlerverband VdeH nun auch noch eine sperrige Erklärung auf Facebook, in dem er viele solcher Gerüchte ansprach. Und davon abrät, sich zu Spekulationen hinreißen zu lassen. (Dem man grundsätzlich nur zustimmen kann.)

Dass der VdeH das natürlich tut, um einem Abwandern entgegen zu wirken, ist offensichtlich. Denn in ihm sind auch viele Hersteller von Produkten organisiert, die von der kommenden Steuer betroffen werden. Und wenn nun mehr und mehr Konsumenten bereits darauf umsteigen, ihre Grundstoffe im allgemeinen Handel zu kaufen und selber mischen, ist das natürlich nicht gut fürs Geschäft.

„Wir wissen natürlich um die Schwierigkeit der Deutung behördlicher Schriftsätze, mahnen hier aber schon die betreffenden Hobbyautoren eben genau das einzustellen: zu deuten“

Verband des e-Zigarettenhandels VdeH, Facebook Fanpage, 24.10.2021

…was bei einigen Kommentatoren dann dazu führte, genau das eben doch weiter zu betreiben.
Das ist weder ein Problem der Online-Dampfer-Blase, noch der Politik. Genau so entstehen Verschwörungstheorien: Fehlendes Wissen wird durch Mutmaßungen ersetzt. Die häufig nur das bestätigen, was man sich vorher schon gedacht, geglaubt und gemeint hat. Andere Faktoren werden einfach ignoriert.

Bevor ich das jetzt aber wieder eloquent, empirisch und psychologisch beurteile und einen Beef eingehe, wagen wir ein Gedankenexperiment.
Lassen wir einmal alle anderen Mutmaßungen (Kaffeesteuer etc.) beiseite und kümmern uns nur um das Vergällen. Und am Ende dieses Artikels kann dann jeder selber urteilen, wie wahrscheinlich so etwas ist.

Die Grundzutaten

Die Grundzutaten für Liquids sind Propylenglykol und Glycerin. Beide sind frei im Handel erhältlich. Sie werden in Kosmetika, Lippenstift, Zahnpasta, Tabak, Frostschutzmittel, Farben, Tierfutter und vielem mehr verwendet.

Durch die Liquidsteuer müssen diese Stoffe ab Mitte des nächsten Jahres mit einer Tabaksteuer belegt werden, wenn sie zum Zweck der Verwendung in einer E-Zigarette angeboten werden.
Das bedeutet, dass ein Liter Glycerin, der in einem Vape Shop angeboten wird, ab 1. Juli nächsten Jahres bei einem derzeitigen Verkaufspreis von ca. 10,- Euro pro Liter mit 160,- Euro Steuer belegt werden wird.

Also mutmaßen nun Kommentatoren auf Social Media, dass frei verkäufliches Glycerin und Propylenglykol vergällt werden wird. Was ich tatsächlich erstmal für einen netztypischen Troll-Witz gehalten habe.

Beim Vergällen handelt es sich um eine Zugabe einer Substanz, um einen Stoff für den Verzehr ungeeignet zu machen. Beispielsweise wird Ethanol vergällt, damit man sich daraus nicht selber Schnaps herstellen kann. Beispielsweise mit Butanon, das auch in Bananen vorkommt und fürchterlich bitter ist.
Dafür gibt es einen ganzen Wust von Gesetzen und EU-Richtlinien. Was vergällt werden darf oder muss, womit man vergällen darf oder muss, wie das zu kontrollieren ist und wofür man welche Ausnahmen machen kann.

Übersetzen wir das auf Glycerin.

Das Naturprodukt Glycerin

Glycerin wird heutzutage aus Pflanzen gewonnen. Daher wird es häufig „vegetable glycerin“ (VG) genannt, was sich im Deutschen fälschlich als veganes Glycerin eingebürgert hat.

Dieses VG ist ein Nebenprodukt von Biodiesel.
Die Produktionsmenge kann man schnell bei Produzenten einsehen. Man wird auch schnell finden, welche Anlagen wieviel Glycerin produzieren.
Die Faustformel besagt, dass auf eine Menge Biodiesel 10 Prozent Glycerin anfallen.

Im Jahr 2019 wurden in Deutschland 3,4 Millionen Tonnen Biodiesel produziert. Das bedeutet, allein die inländische Produktionskapazität von Glycerin beträgt mindestens 340.000 Tonnen Glycerin pro Jahr. Sie dürfte weit höher liegen.

Für Dampfer umgerechnet: Das entspricht einer Menge von knapp 270.000.000 Literflaschen Glycerin. Bei einem Endpreis von 10 Euro entspräche das 2,7 Milliarden Euro, dem mehr als 5000-fachen dessen, was die gesamte E-Zigaretten-Branche in Deutschland umsetzt.
Bei angenommenen 3000 Vape Shops in Deutschland müsste jeder Shop ein Lager für 90.000 Liter Glycerin haben. Was einem schweren Tanklaster entspricht.
Nur um mal die Relationen zu verdeutlichen.



Spannende Umsetzung

Was würde das zolltechnisch bedeuten?

Glycerin müsste bis zur Vergällung kontrolliert werden. Und bei jeder Umfüllung, bis zum Endprodukt. Es müssten Zolllager eingerichtet werden. Transporte müssten verplombt werden. Abfüllanlagen müssten zollkonform umgestellt werden. Konzerne wie Beiersdorf, Procter & Gamble oder Nestlé würden sich bedanken. Denn die verwenden alle Glycerin. In Tonnen.

Und das betrifft nur die inländische Produktion.
Importe müssten versteuert werden. Sie müssten an der Grenze kontrolliert oder in entsprechenden Zollagern verplombt werden. Der Zoll müsste Heerscharen von Beamten einstellen, die nur für Glycerin zuständig sind.

Die nächste Frage wäre dann, mit was Glycerin vergällt werden soll, damit es zum Dampfen ungenießbar wird. Öl, wie gemutmaßt wurde, wäre einigermaßen ungeschickt. Denn die Inhalation von Öl kann zu einer Lipidpneumonie führen. Stellen wir uns für einen Augenblick die Schlagzeilen vor, wenn ein Dampfer nach dem Konsum von vergällten Glycerin auf der Intensivstation landet.

Und ein letzter Gedanke. Das Finanzministerium erwartet 2023 knapp 250 Millionen zusätzliche Steuereinnahmen durch die Liquidsteuer. Was nach Einschätzung aller, die sich damit beschäftigen, bereits völlig überhöht ist. Zum Vergleich: 2020 nahm der Staat durch Banderolen für Tabak 14,6 Milliarden ein. Fast das Sechzigfache.
Und dafür der ganze Aufwand?

Todesstrafe in Hessen

Dieses Gedankenexperiment umfasst nur Glycerin. Das Gleiche kann man auf Propylenglykol übersetzen. Und dann wäre noch darüber zu diskutieren, wie wohl Lebensmittelaromen vergällt werden sollen, die ebenfalls unter Tabaksubstitute und damit eine Versteuerung fallen können.

In Hessen war es bis 2018 möglich, für einen Einbruch hingerichtet zu werden. Wenn ein Beamter auf einer Dienstreise stirbt, gilt die Dienstreise als beendet. Es ist verboten, an Karfreitag öffentlich Das Leben des Brian vorzuführen. Es ist verboten, in Abwasserkanälen zu schwimmen. Man darf nackt Auto fahren, aber nicht nackt aussteigen. Und der Besitz von Cannabis ist verboten, in einigen Bundesländern wird für ein paar Gramm Eigenbedarf aber nicht einmal mehr ein Verfahren eröffnet.

Eine gesunde Abwägung ist Grundlage jeder halbwegs faktenbasierten Meinung. Das gilt nicht nur für Querdenker. Ich rate dazu abzuwägen, was wahrscheinlicher ist:
Dass die oben beschriebenen Maßnahmen bis Mitte des nächsten Jahres für hunderte Millionen Liter chemischer Grundstoffe umgesetzt werden, oder dass durch Ahnungslosigkeit der Politiker und die zwangsläufige Umsetzung durch den Zoll ein unsinniges Gesetz geschaffen wurde, bei dem es nur wegen ein paar Dampfern gar nicht lohnenswert ist, es systematisch durchzusetzen.


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Joey Hoffmann

Begründer und inhaltlich Verantwortlicher bei vapers.guru
Freier Redakteur, zuvor angestellter und selbstständiger Marketingberater und Mediengestalter, Fachbereich Facebook und Wordpress. Mitglied des Deutschen Fachjournalisten-Verbandes.

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