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Leserfrage: Lungenentzündung wegen E-Zigarette, kann das sein?

Lebensgefährliches Dampfen - ein Faktencheck

Am vergangenen Wochenende wurde die Geschichte einer 18-jährigen durch die englischsprachigen Medien getrieben. Sie soll durch jahrelanges Dampfen an der Beatmung gelandet sein. Ein Faktencheck.

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In der Facebook Gruppe von VAPERS.GURU wurde nach der Glaubwürdigkeit einer Zeitungsmeldung gefragt.

Es geht um die Geschichte der 18-jährigen Juliet Roberts, die angeblich nach jahrelangem Dampfen mit einer lebensbedrohlichen Lungenentzündung im Krankenhaus gelandet ist.

Dabei war ein Link zu einem Online Boulevard Magazin. Die Geschichte wurde ab Freitag von vielen Medien in den USA und Großbritannien aufgegriffen, unter anderem von der New York Post, dem Mirror, dem Independent, Daily Mail, Ladbible und vielen mehr.

Daher werde ich im Folgenden den Inhalt wiedergeben, der in allen Berichten fast wortgleich ist. Anschließend werde ich erklären, warum die Geschichte mehr als unglaubwürdig ist.

Der Fall Roberts

Die Kellnerin Juliet Roberts gibt an, im Alter von 14 Jahren mit dem Konsum von E-Zigaretten angefangen zu haben. Schnell habe sie eine Abhängigkeit entwickelt.

Im Januar hätten dann ihre Lungen versagt. Sie sei morgens aufgewacht, mit dem Gefühl eine Erkältung zu haben. Dieser Zustand habe sich drei Tage lang verschlimmert.
Daraufhin sei sie ins Krankenhaus gebracht worden. Dort wurde sie beatmet. Der Doktor (sic) habe gesagt, sie hätte in der Nacht sterben können, wenn sie nicht ins Krankenhaus gekommen wäre.
Sie war insgesamt fünf Tage auf „lebenserhaltenden Maßnahmen“.

Nach verschiedenen Tests sei bei Ihr eine Pneumonie (Lungenentzündung) diagnostiziert worden. Der Doktor (sic) habe als Ursache die jahrelange Nutzung einer E-Zigarette dafür verantwortlich gemacht.

Nun sei sie nach wie vor zu Hause und auf Sauerstoff angewiesen. Der Doktor (sic) habe gesagt, sie könne sterben, wenn sie noch einmal an einer E-Zigarette ziehe.
Sie habe ihre Geschichte veröffentlicht, um andere vor dem Dampfen („vaping“) zu warnen.

EVALI: Illegale Liquids

Auf den ersten Blick mag die Geschichte für uninformierte Menschen glaubwürdig erscheinen. Auf dem zweiten Blick zeigen sich Widersprüche. Auf dem dritten Blick und mit etwas Recherche offenbart sich ein ganz anderes Bild.
Um das erklären zu können, muss man wissen, was die so genannte EVALI Krise war.

Juliet Roberts, 18, aus Tennessee

Ab August 2019 wurden immer mehr Menschen mit dem später so genannten EVALI Syndrom in Krankenhäuser gebracht. Dabei handelte es sich vereinfacht gesagt um Pneumonien nach der Nutzung von E-Zigaretten. Insgesamt wurden 2800 Menschen hospitalisiert, 68 Menschen starben.

Bemerkenswert war, dass dies regional begrenzt passierte. Es begann in den Bundesstaaten Illinois und Wisconsin. Die Patienten waren überwiegend junge Männer, die eher untergewichtig bzw. unsportlich waren.

Auch durch die entsprechende Informationspolitik der verantwortlichen Behörden kam erst später heraus, dass die Patienten keine übliche E-Zigarette konsumiert hatten. Wie auch die Medien in Europa sensationslüstern berichteten. Sondern so genannte Dank Vapes: Einweg Kartuschen für E-Zigaretten, die Liquids mit THC enthielten. Die Menschen hatten ihren Akku zum Kiffen verwendet.
Diese Dank Vapes waren illegal hergestellt worden. Und anstatt der üblichen, gesundheitlich unbedenklichen Grundstoffe, hatten die Dealer Tocopherylacetat (Vitamin-E-Acetat) verwendet. Da das ein wasserunlösliches Öl ist, führt es zu einer Lipidpneumonie – einer Lungenentzündung durch Lipide. Denn die können von der Lunge nicht verstoffwechselt werden.

Letztendlich haben über 80 Prozent der Patienten eingeräumt, diese illegalen Produkte konsumiert zu haben. Bei den restlichen etwa 15 Prozent kann man sich leicht erklären, warum sie sich dazu nicht äußern oder es bestreiten.
[Tödlicher Dampf: Ausführlicher Artikel hier…]

Die Syptome dieser Lipidpneumonie sind identisch mit dem, was Juliet Roberts beschreibt.



Eine Story zu Geld machen

Daher ist ein anderes Szenario eher vorstellbar.
Juliet Roberts wollte kiffen. Und da Cannabis in Tennessee illegal ist, hat sie sich etwas entsprechendes vom Schwarzmarkt besorgt.
Das deckt sich auch mit der veröffentlichten Aussage, sie habe ein „Fake Disposable“ erwischt, also ein „gefälschtes“ oder „verschleiertes“ Einweg-Produkt.

Die veröffentlichten Fotos sind – bis auf wenige Ausnahmen – Selfies. Es ist eher vorstellbar, dass sie diese auf ihren Social Media Kanälen veröffentlicht hat. Und eine Medien-Agentur darauf aufmerksam wurde. Die hat ihr die Story dann abgekauft. Gegen bare Münze.
Dafür spricht, dass die Fotos zwar nicht auf ihren Social Media Accounts zu finden sind. Aber meist mit den Copyrigt Hinweis der „Kennedy News and Media Agentur“ versehen wurden. Obwohl sie zum Teil augenscheinlich früher gemacht wurden.

Ockhams Rasiermesser

Das Szenario ist aus mehreren Gründen wahrscheinlicher.
Zum ersten gibt Juliet Roberts an, alle zwei Wochen ein „Disposable“ konsumiert zu haben. Abgesehen davon, dass die derzeit aktuellen, handelsüblichen Disposables mit Nikotin vor vier Jahren noch gar keine Marktrelevanz hatten, ist dieser Konsum fern von jeglicher Definition einer Abhängigkeit. Das entspräche auf Tabak übersetzt nicht einmal einer Zigarette pro Tag.

Mit 18 verlassen die Jugendlichen in den USA üblicherweise die High School. Juliet Roberts gibt an, Kellnerin zu sein. Auf ihren Social Media Accounts ist zu erkennen, dass sie junge Mutter ist. Sie wird also eher der weißen Unterschicht angehören.
Würde bekannt werden, dass sie illegale Substanzen konsumiert hat, könnte sie nicht nur Ärger mit der Jugendfürsorge bekommen. Sondern auch auf ihren Krankenhauskosten sitzenbleiben. Falls diese überhaupt durch eine Versicherung abgedeckt sind.

Und es werden in allen Berichten ausschließlich die Aussagen von Juliet Roberts wiedergegeben. Es wird kein Mediziner befragt, geschweige denn einer der Ärzte, die sie behandelt haben. Hätte sie die Geschichte veröffentlicht um andere zu warnen, wäre nichts naheliegender gewesen, als einen der Ärzte um eine Stellungnahme zu bitten.

Man wacht nicht mit einem Beinbruch auf

Eine Pneumonie ist eine Entzündung des Lungengewebes oder der Lungenbläschen. Das kann beispielsweise durch Bakterien, Viren oder Pilze ausgelöst werden. Oder, wie beim EVALI Syndrom und der Lipidpneumonie, durch die Inhalation von schädlichen Substanzen.

Eine Entzündung ist immer etwas akutes. Sie kann sich zwar chronifizieren, aber sie muss erstmal da sein.

Es ist kein Szenario denkbar, in dem man vier Jahrelang angeblich regelmäßig E-Zigaretten konsumiert, und dann aufgrund dieses Konsums plötzlich mit einer akuten, womöglich lebensbedrohlichen, Pneumonie aufwacht.
Es wacht auch niemand nach vielen Jahren Ski-Fahren plötzlich mit einem gebrochenen Bein auf.
Es gibt meines Wissens keine Studie, die eine Pneumonie, ob akut oder chronifiziert, durch E-Zigaretten beschreibt. Nicht einmal von den Gegnern der E-Zigarette, die so etwas gerne aufgreifen und publik machen würden.

Alle derartige Berichte müssen also mindestens ungenau sein.
Oder schlicht erfunden.


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Joey Hoffmann

Begründer und inhaltlich Verantwortlicher bei vapers.guru
Freier Redakteur, zuvor angestellter und selbstständiger Marketingberater und Mediengestalter, Fachbereich Facebook und Wordpress. Mitglied des Deutschen Fachjournalisten-Verbandes.

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