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arte uncovered: Manipulation, Desinformation, Framing

Wie ein Lobbyfilm ins Fernsehen kam


Dies ist der erste Teil eines dreiteiligen Themenschwerpunkts. Die weiteren Teile sind unten verlinkt.


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Am 21. September hat der Kultursender arte eine Dokumentation veröffentlicht, unter dem Titel „Nikotin – Droge mit Zukunft“. Dieser wird noch mehrfach ausgestrahlt und ist auf mehreren Plattformen online abrufbar.
Produziert wurde der 90 minütige Beitrag der Regisseurin Bärbel Merseburger-Sill von der berlin producers Media GmbH für das deutsche ZDF.

Die Dokumentation entlarvt vermeintlich Strategien der Tabakindustrie und zeichnet das düstere Bild einer „Tabakepidemie“. Der Aufhänger ist die E-Zigarette, die jedoch undifferenziert mit Tabakerhitzern und Zigaretten in einen Topf geworfen wird.

Dieser Film ist ein Stück aus dem Lehrbuch dafür, wie entgegen der Aufklärung der Bevölkerung Lobbyismus betrieben wird. Er ist das Brennglas, unter dem die Instrumente des Framings, der Manipulation und der Meinungsbildung zu sehen sind. Komprimiert auf 90 Minuten und verzehrfertig geliefert in die Wohnzimmer und Köpfe der Zuschauer.

Ich möchte mir die Zeit nehmen, den Film zu analysieren. Ich halte es für wichtig, dies einmal ausführlich zu tun. Damit der Zuschauer erkennen kann, mit welchen Mitteln er manipuliert wird und diese bei anderen Beiträgen erkennen kann.

Über mich

Zu jeder Analyse gehört, dass man weiß, wer einem da etwas mitteilt. Daher werde ich auch mich zumindest kurz vorstellen. Am Ende des Beitrags werde ich noch einige Worte zur Regisseurin sagen.

Ich bin aus gesundheitlichen Gründen auf die E-Zigarette umgestiegen.
Da ich damals bemerkt habe, dass es nur sehr wenige Quellen zu dem Thema gab, habe ich angefangen darüber zu bloggen. Vor etwas über fünf Jahren habe ich mich damit selbstständig gemacht.

Selbstverständlich ist diese Seite werbefinanziert. Und es liegt in der Natur der Sache, dass vor allem Unternehmen aus der Branche Anzeigen schalten.
Ich bin jedoch absolut frei von jeglicher Einflussnahme, kritisiere Unternehmen häufig öffentlich und wähle sehr genau aus, von wem ich Geld annehme. Ich habe noch nie Werbung von einem Tabakkonzern akzeptiert.
Integrität ist mein höchstes Gut.

Ich bin gut vernetzt, auch international und bis in die Wissenschaft.
Ich bin Mitglied im Deutschen Fachjournalistenverband.

Harm Reduction

Damit der Leser meinen Erklärungen folgen kann, werde ich mich chronologisch durch den Film arbeiten. Daher muss ich meine These undramatisch vorwegnehmen.

Die E-Zigarette wurde 2006 erfunden und legte in der Folge einen Siegeszug um die Welt hin.
Erfunden wurde sie von Hon Lik, einem chinesischen Apotheker, der seinem ketterauchenden Vater eine Alternative anbieten wollte.
Das ist der Kern der Harm Reduction, das Konzept der Schadensminimierung. Menschen, die ein schädigendes Verhalten nicht abstellen wollen oder können, eine weniger schädigende Alternative anzubieten.

Ansätze dieses Konzeptes finden wir bereits vor Jahrzenten bei Methadonprogrammen für Heroinabhängige und bei der Verteilung von Kondomen gegen AIDS. Aufklärung ist ein wichtiger Moment der Harm Reduction.
Egal ob Cannabis, Viren oder harte Drogen: Die Harm Reduction war immer ein Erfolg.

Eine andere Maßnahme ist das Verbot, die Prohibition. Diese ist regelmäßig gescheitert.
Der von Nixon ausgerufene War on Drugs ist gescheitert, derzeit rollt die nächste Heroinwelle durch die USA. Und die Alkoholprohibition hat nicht nur dazu geführt, dass sogar mehr Alkohol getrunken wurde. Es war ein Subventionierungsprogramm für die Mafia.

Lobbyarbeit, Framing und Beeinflussung

Inzwischen werden die Widerstände gegen die E-Zigarette immer massiver. Es wird weltweit mit Millionen finanzierte Lobbyarbeit betrieben. Von wem, werde ich im Weiteren darlegen.

Da die wissenschaftlichen Ergebnisse aber mehr und mehr Gutes über die E-Zigarette offenbaren, fällt es den Gegnern und Lobbyisten zunehmend schwer, Argumente dagegen zu finden.
Selbst das deutsche Krebsforschungszentrum hat eingeräumt, dass die E-Zigarette weniger schädlich als die Tabakzigarette ist. Und die britische Gesundheitsfürsorge Public Health England schätzt das Risiko der E-Zigarette auf 95 Prozent geringer als das der Tabakzigarette. Das Krebsrisiko sogar mindestens 99,5 Prozent geringer.

Daher wird der Öffentlichkeit seit einigen Jahren gezielt durch Framing der Lobby beeinflusst.
Framing bedeutet, dass man bewusst eine Information so formuliert, dass sie vom Empfänger gewünscht interpretiert wird. Man spricht von der Beeinflussung des neuronalen Deutungsrahmen.

Die Framing-Allzweckwaffe gegen die E-Zigarette ist der Jugendschutz.
Denn dem Jugendschutz kann man nur schwer etwas entgegensetzen. Kein Politiker, der nicht auf das abrupte Ende seiner Karriere hinarbeitet, würde sich jemals öffentlich gegen Jugendschutz positionieren. Jugendschutz ist emotional belegt.

In der Realität ist das Thema Jugendschutz bei der E-Zigarette schlicht irrelevant. Denn je nach Umfrage sind regelmäßige Dampfer zu zwischen 97 und 99,9 Prozent ehemalige Raucher. Der Einstieg findet über den Tabak statt, das Durchschnittsalter in Deutschland beträgt 14,7 Jahre.
Es gibt dazu inzwischen wissenschaftliche Erhebungen. Die jedoch systematisch ignoriert werden.

Die Gegner der E-Zigarette haben dafür ein hervorragendes Framing gefunden: Dass die E-Zigarette eine Erfindung der Tabakindustrie sei, die wegen sinkender Raucherzahlen Jugendliche an die Nikotinsucht bringen will, um weiterhin Kunden zu haben.

Doch jeder, der sich auch nur halbwegs mit diesem Markt beschäftigt, entlarvt diese Manipulation.
Der Markt der E-Zigarette wird bestimmt durch kleine und mittelständige Hersteller, meist in China. Und durch kleine Hersteller von Liquids, die häufig nur national vertreten sind.

Natürlich haben auch die Tabakkonzerne den Markt erkannt und versuchen sich derzeit massiv einzukaufen. Sie versuchen White Washing, Astro Turfing und verlorene Kunden abzuholen. Aber sie haben die E-Zigarette nicht erfunden.
Die wenigen Geräte, die von den Tabakkonzernen angeboten werden, machen einen geringen, einstelligen Prozentsatz am Markt aus.



Nicht das Nikotin ist die Gefahr

Ich werde auf einzelne Aspekte zurückkommen.
Wichtig ist zu verstehen, dass die Dokumentation genau dieses Framing aufgreift. Es ist die Kernaussage.
E-Zigarette = Tabakindustrie; Tabakindustrie = böse; ergo: E-Zigarette = böse
Diese Formel soll hier verkauft werden.

Für diese Behauptung der jugendgefährdenden Tabakkonzerne wurden entsprechende Stimmen gesammelt.
Nicht ein einziger Wissenschaftler, der etwas Positives zu sagen hätte, kam zur Sprache. Und davon gibt es nicht nur eine ganze Menge, sondern es werden immer mehr. International angesehene Forscher und Professoren wie Polosa, Farsalinos, Bauld, Mayer, Hajek und viele mehr. Und mindestens ebenso viele Fachleute und Forscher aus dem Bereich der öffentlichen Gesundheit.

Prof. Dr. Bernd Mayer, Leiter des Bereichs Pharmakologie und Toxikologie der Universität Graz, hat die Dokumentation scharf kritisiert. Mayer hat bereits vor sechs Jahren Nikotin beforscht.

So entsteht bei Zuschauer der Eindruck, positive Aussagen zur E-Zigarette wären Werbeversprechen der Tabakkonzerne. Nicht könnte falscher sein.

Es ist seit Jahrzehnten klar, dass das Nikotin weder Krebs erregt, noch zu kardiovaskulären Erkrankungen führt. Was viele zum ersten mal hören, ist tatsächlich offizielle Position. Beispielsweise der ECHA, der Europäischen Chemikalienagentur.
Es sind die Verbrennungsstoffe des Tabaks, die Millionen Menschenleben kosten.
Und so war es eben nicht die Tabakindustrie, die die E-Zigarette „erfunden“ hat. Sondern Harm Reduction Befürworter, die Rauchern eine verbrennungslose Alternative anbieten wollten.

Nach 5 Minuten ist alles klar

Dass dieses Framing verfolgt werden soll, wird bereits in den ersten Minuten der Dokumentation deutlich. Denn es wird behauptet, die Tabakindustrie hätte die E-Zigarette „auf den Markt gebracht“.
Tatsächlich ist der rasante Aufstieg der E-Zigarette für etwa ein Jahrzehnt völlig an den großen Konzernen vorbeigelaufen.

Um diese Behauptung zu stützen, werden im gesamten Film ausschließlich die wenigen Produkte der Tabakindustrie gezeigt. Unter anderem die my blu von Reemtsma, Teil des Imperial Brand Konzerns, und Vype von British American Tobacco.
Diese Produkte wird man aber kaum im Fachhandel finden. Dort finden sich Brandings wie Joyetech, Geek Vape, Vaporesso, Aspire oder auch die hochpreisigen Marken SvoëMesto aus Deutschland oder SQuape von StattQualm aus der Schweiz. Allesamt öffentlich eher unbekannt, weil sie eben nicht zu den Tabakkonzernen gehören. Von den hunderten kleiner Liquids Hersteller ganz zu schweigen.

Auch ein anderer Trick des Framings wird sehr schnell eingesetzt: Die Zahl der Dampfer habe sich innerhalb der letzten Jahre „nahezu versechsfacht“.
Abgesehen davon, dass solche Zahlen immer wenig zuverlässig sind. Denn man weiß nie genau, wer nun als „Dampfer“ gezählt wurde. Derjenige, der dauerhaft und ausschließlich E-Zigaretten nutzt, derjenige, der mal eine E-Zigarette ausprobiert hat oder auch derjenige, der sowohl dampft als auch raucht. Das bietet bereits breiten Raum für Zahlenspielereien.

Eine solche Aussage ist ausschließlich dazu gedacht, einen dramatischen Anstieg abzubilden und das Bild einer „Epidemie“ in die Köpfe der Zuschauer zu pflanzen. Denn um eine korrekte Relation zu haben, müsste man betrachten, wie viele Menschen von der Tabakzigarette zur E-Zigarette umgestiegen sind.

Und da zeigt sich, dass es keinen relevanten Anstieg von Konsumenten gibt.
Gemäß Euromonitor haben alleine bis 2014 neun Millionen Europäer durch die E-Zigarette aufgehört zu rauchen. So viele wie nie zuvor.
In Großbritannien, wo die E-Zigarette offiziell zum Umstieg empfohlen wird, sind die Raucherzahlen so niedrig wie noch nie zuvor.

All das muss der Regisseurin bewusst gewesen sein. Sie muss bewusst darauf verzichtet haben, die Relationen abzubilden und die dramatische Darstellung gewählt haben.

Der ebenfalls im Film vorkommende Vorsitzende des Verbandes des E-Zigarettenhandels Michal Dobrajc sagte dazu auf Anfrage:

„Die Autorin hat umfangreich zum Thema E-Zigaretten recherchiert. Es scheint daher ausgeschlossen, dass sie dabei nur zu den in der Reportage getroffenen Schlussfolgerungen kommen konnte. Als Fürsprecher einer Harm Reduction kamen nur Vertreter der Industrie zu Wort, um den Eindruck zu erwecken, dass beide Seiten angehört wurden. Auf Interviews mit unabhängigen Wissenschaftlern, wurde komplett verzichtet. Damit entsteht bei dem Zuschauer der Eindruck, es gäbe keine unabhängigen Fürsprecher für die E-Zigarette in der Wissenschaft. Vielmehr spricht die (sehr zweifelhafte) Auswahl der wissenschaftlichen Gegenstimmen dafür, dass hier eine vorgefertigte Richtung bestätigt werden sollte.“

Michal Dobrajc, Vorszitzender des VdeH, 24.09.2020

Im zweiten Teil dieses Themenschwerpunktes werde ich konkret auf die einzelnen Behauptungen eingehen. Und wer sie aufstellt.


Themenschwerpunkt: arte uncovered

arte uncovered – Teil 1
arte uncovered – Teil 2
arte uncovered – Teil 3

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Joey Hoffmann

Begründer und inhaltlich Verantwortlicher bei vapers.guru
Freier Redakteur, zuvor angestellter und selbstständiger Marketingberater und Mediengestalter, Fachbereich Facebook und Wordpress. Mitglied des Deutschen Fachjournalisten-Verbandes.

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