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Erstes Gerichtsverfahren gegen TPD

NNA nimmt am Prozess in Luxembourg teil

In der Aufregung um die TPD ist in der öffentlichen Wahrnehmung untergegangen, dass es ein anderes Tabakprodukt viel härter getroffen hat als Zigaretten und Dampfen. Snus ist das einzige Produkt, das durch die Regulierung komplett verboten ist.
Am Donnerstag wird sich der Europäische Gerichtshof in Luxembourg damit befassen.
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Snus ist im deutschsprachigen Raum kaum bekannt. Am bekanntesten wird er wohl in Schleswig-Holstein sein. Denn eigentlich kommt er aus Skandinavien.
Es zählt zum Kautabak, der Konsum unterscheidet sich jedoch von diesem.

Während Kautabak lose neben die Zähne gestopft und bei Bedarf dann mit den Zähnen gequetscht wird, ist Snus in kleine Zellulosebeutel verpackt, die üblicherweise nur hinter die Oberlippe gesteckt werden.
Kautabak wird fermentiert, Snus durch Wärmebehandlung und Zugabe von Wasser verarbeitet.
Der reine Kautabak ist inzwischen eher in Nordamerika zu finden, in Europa ist eher Snus beliebt.

Der Tabak wird mit ähnlichen Aromen angereichert wie auch Liquids. Durch den starken Eigengeschmack des Tabaks überwiegen aber eher kräftige Aromen wie Sirup, Pflaumen, Rosinen, aber auch Menthol oder Orangen.
Das Nikotin und die Aromen werden dabei über die Mundschleimhaut über einen Zeitraum von bis zu einer Stunde abgegeben.

Baseball, Kautabak, mehr USA geht nicht

Jeder kennt das Bild des herzhaft ausspuckenden Cowboys. Aber der Kautabak ist vor allem auch durch Baseball bekannt geworden. Weil die Spieler oftmals lange am Rand sitzen müssen und auch auf dem Feld des Öfteren mal die ausgelutschten Reste ausspucken. (siehe Die nackte Kanone)

Diese Traditionen sind jedoch sehr alt, in jedem Saloon standen auch Spucknäpfe unterm Thresen.
Auch in der Schifffahrt war der Snus sehr beliebt, da man bei der oft harten und nassen Arbeit an Deck schwer eine Zigarette rauchen konnte.

Diskussion mit Tradition

Der Streit um den Kautabak hat in Europa Tradition. Bereits in den 1980ern gab es dazu gerichtliche Streitfälle und entsprechende Regulierungen.
Die Argumente der Moralapostel dürften jedem Dampfer bekannt vorkommen. Suchtgefahr, Normalisierung, Jugendschutz.
Während Sorten mit weniger Nikotin auch mal geschluckt werden, kann es beim Verschlucken der härteren Stoffe durchaus schon mal zu Übelkeit oder Magenschmerzen kommen. Diese Argumente entfallen bei dem verpackten, so genannten Portionssnus jedoch.
Die Argumente sind ähnlich hohl wie bei der E-Zigarette.

Nun ist der Streit um den Snus wieder voll entbrannt. Denn mit diesen alten Argumenten wurden Snus und Kautabak durch die Tabakproduktrichtlinie (TPD 2) in ganz Europa verboten.
Außer in Schweden.

„Es ist verboten, Tabakerzeugnisse zum oralen Gebrauch in den Verkehr zu bringen.“
TabakerzG, § 11

Ausnahmen und Graumärkte

Der vor allem in Skandinavien beliebte Portionssnus

Beliebt ist Snus vor allem in Norwegen und Schweden. Sicherlich auch durch die strengen, nationalen Reglementierungen von Zigarren und Zigaretten. In Norwegen kostet eine Schachtel Zigaretten derzeit etwa 11,50 €.
Aber Norwegen ist kein Mitglied der EU. Und Schweden hat es irgendwie geschafft eine Ausnahmeregelung durchzubekommen.

In Norddeutschland ist inzwischen ein regelrechter Graumarkt entstanden. Privatpersonen die selber Snus schmuggeln, aus Skandinavien bestellen oder aus Halbfertigprodukten selber herstellen. Das Gleiche dürfte für Dänemark gelten.

Snus weit ungefährlicher als Zigaretten

Nun haben viele Verfechter der Harm Reduction aber in ihrem Kampf gegen die Überregulierungen der TPD und für die E-Zigarette eine Tatsache wieder auf die Tagesordnung gebracht: Snus ist weit ungefährlicher als verbrennbarer Tabak.

Norwegen und Schweden haben nicht nur die geringste Anzahl an Rauchern in der Bevölkerung. Sie haben auch die deutlich niedrigste Zahl an Lungenkrebserkrankungen und Schlaganfällen.
Zwar gibt es ein Risiko, denn der so behandelte Tabak enthält Nitrosamine. Ähnlich wie gepökelter Fisch oder wiedererwärmter Spinat. Und diese sind karzinogen.
Aber das Risiko ist um ein vielfaches geringer als bei Zigaretten.

Mehr als nur Ikea

Der wohl bekannteste Kautabak in den USA, der Konzern ist schwedisch.

Swedish Match war, wie der Name erahnen lässt, ursprünglich ein Hersteller von Streichhölzern. Inzwischen ist daraus ein Konzern geworden, der auch eine ganze Reihe von Tabakprodukten herstellt.
Das 1917 gegründete Unternehmen hat inzwischen fast 4.000 Mitarbeiter und stellt seine Produkte in 16 Ländern her. Pinkerton Tobacco Inc. in Owensboro, Kentucky ist der größte Hersteller von Kautabak und gehört ebenfalls zu Swedish Match.
Ein relevanter Markt war wohl auch der Vertrieb von Snus in Großbritannien, weshalb Swedish Match gegen das Verkaufsverbot in UK vorgehen wollte. Gleichsam als Anlaufpunkt.

Dies wurde dann im vergangenen Januar vom High Court of Justice, dem zuständigen Gericht der höchsten Instanz in London geprüft.
Da das Verkaufsverbot aber auf eine Regulierung durch die EU zurückzuführen ist, wurde das dann an den Europäischen Gerichtshof in Luxembourg weitergegeben.

Die New Nicotine Alliance

Bei dieser Anhörung hat die New Nicotine Alliance beantragt als Nebenkläger (Intervener) auftreten zu dürfen. Und dieser gemeinnützige Verein gehört zu den größten und bekanntesten Harm Reduction Verfechtern.

„Die NNA glaubt, dass Raucher ein Recht auf sicherere Nikotinprodukte als Alternative zum Rauchen haben. Und ein Recht darauf, eine Entscheidung zu treffen, die ihnen hilf schlimmere Folgen zu verhindern.“
Prof. Gerry Stimson, Vorsitzender New Nicotine Alliance

Sie ist nicht als Händler oder Konsumentenverband einzustufen. Sondern die NNA ist eine Vereinigung von Befürwortern der Schadensminimierung von Tabakprodukten.
Chairman ist Prof. Dr. Gerry Stimson, einer der bekanntesten Verfechter der E-Zigarette in Großbritannien. Er ist Sozialwissenschaftler im Fachbereich der Öffentlichen Gesundheit, war Professor des Imperial College London, ist Gastdozent der London School of Hygiene and Tropical Medicine und ist Direktor des Centre for Research on Drugs and Health Behaviour (Forschungszentrum für Drogen und Gesundheitsverhalten).




Er sorgt regelmäßig für Aufsehen, weil er offen die Ansicht vertritt, Nicotin sei annähernd unschädlich und die E-Zigarette berge ein vernachlässigbares Gesundheitsrisiko. Denn der Rauch sei das, was die Menschen schädigt.

„E-Zigaretten haben eine große Wirkung, doch sie funktionieren nicht unter allen Umständen für jeden. Wir wünschen uns eine breite Verfügbarkeit von sichereren Nikotinprodukten als Alternative zum Rauchen.“
Prof. Gerry Stimson, Vorsitzender New Nicotine Alliance

Anhörung am Donnerstag

Prof. Dr. Gerry Stimson (Foto: A Billion Lives)

Der High Court hat diesem Antrag stattgegeben, und so wird die NNA in diesem am Donnerstag anstehenden Verfahren offiziell die Rolle eines Nebenklägers einnehmen.
Allerdings wird das nicht ein Gerichtsverfahren, wie man es sich laienhaft vorstellt. Es ist eine Anhörung. Eine „Vorabentscheidungsersuchung„.

Die Argumente gegen das Verbot von Snus werden von den Klageführern vorgetragen werden, wobei auch der NNA eine kurze Redezeit eingeräumt wird.
Der Generalanwalt wird die Argumente dann prüfen und für den Europäischen Gerichtshof vorbereiten. Er ist aber nicht der Beklagte, das ist nämlich der Britische Gesundheitsminister. Und wie der sich positionieren wird dürfte angesichts der politischen Großwetterlage spannend werden.
So könnte es durchaus sein, dass die ablehnende Haltung Großbritanniens gegenüber den europäischen Regulierungen noch vor dem Brexit nachhaltigen Einfluss auf die EU haben könnte.
Die Entscheidung wird später in diesem Jahr erwartet.

Zweimal gescheitert, Chance gegen die TPD

Es ist nicht zu erwarten, dass dadurch die ganze TPD gekippt wird.
Zumal auch schon zweimal gegen solche Regulierungen vorgegangen wurde. Einmal durch Swedish Match selber und einmal durch einen deutschen Händler. Allerdings ging es 2004 um eine Regulierung von 2001, es war also weit vor der TPD. Bei diesem Totalverbot könnte ganz anders argumentiert werden.

Vorlagefragen

Sind die Art. 1 Buchst. c und 17 der Richtlinie 2014/40/EU [TPD2, Anm. d. Red.] ungültig wegen
i) Verstoßes gegen das allgemeine unionsrechtliche Diskriminierungsverbot,
ii) Verstoßes gegen den allgemeinen unionsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit,
iii) Verstoßes gegen Art. 5 Abs. 3 EUV und das unionrechtliche Subsidiaritätsprinzip,
iv) Verstoßes gegen Art. 296 Abs. 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union,
v) Verstoßes gegen die Art. 34 und 35 AEUV und
vi) Verstoßes gegen die Art. 1, 7 und 35 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union?

Durch dieses Verfahren könnte auch weiter in die öffentliche Wahrnehmung getragen werden, wie hektisch und voreingenommen die TPD geschrieben wurde. Mehr noch, dass sie auf völlig falschen Argumenten aufbaut, die von Moralaposteln eingeflüstert wurden.
Inzwischen haben wir einen gänzlich anderen Fundus an wissenschaftlichen Erkenntnissen.

Die Einschläge kommen näher

Man darf auch diese Tragweite nicht unterschätzen. Denn würde die Regelung wegfallen, würde das bedeuten, dass damit auch Klagen in den Mitgliedsstaaten möglich würden. Die TPD müsste nicht nur auf europäischer Ebene geprüft werden. Die Entscheidungsträger müssten diese Erkenntnisse auch in die Gestaltung der TPD 3 einfließen lassen.
Und alle Mitgliedsstaaten müssten ihre Gesetze prüfen.

Es wird nicht den einen, großen Prozess gegen die TPD geben, nach dem alle in die Hände klatschen und nochmal neu anfangen.
Aber solche kleinen Gefechte sind es, die einen Krieg letztendlich entscheiden können.

Solche Prozesse erzeugen ein Grundrauschen. Und das wird immer lauter.


Homepage der NNA: https://nnalliance.org/welcome
Übersicht über die Klage: http://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=191166&pageIndex=0&doclang=DE&mode=req&dir=&occ=first&part=1&cid=172509

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Joey Hoffmann

Begründer und inhaltlich Verantwortlicher bei vapers.guru
Freier Redakteur, zuvor angestellter und selbstständiger Marketingberater und Mediengestalter, Fachbereich Facebook und Wordpress. Mitglied des Deutschen Fachjournalisten-Verbandes.

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