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RTL Hessen: Gefahren durch E-Zigaretten

Wie man einen Boulevardbeitrag macht

RTL Hessen veröffentlichte gestern einen Beitrag zur E-Zigarette. In zwei Minuten und 26 Sekunden wird dem Zuschauer ein Potpurri aus Halbwahrheiten, Unwahrheiten und alten Kamellen mundgerecht aufbereitet.
Spannend: Anlass war offenbar eine Studie, über die vapers.guru bereits berichtet hatte.
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Was braucht man, um einen Beitrag für ein Boulevardmagazin zu machen?
Die Zutaten sind sehr einfach.

Zuerst benötigt man einen Anlass. Im Fall der E-Zigaretten ist das meist eine Studie oder ein Statement einer Organisation.
Dann benötigt man einen Experten, der sich dazu äußert. Gerne einen Mediziner oder Wissenschaftler, das wirkt seriös.
Als nächstes benötigt man so genanntes Footage. Also irgendwelche Aufnahmen, die grob mit dem Thema zu tun haben. So etwas hat man als Medienunternehmen üblicherweise auf Lager oder kann sie von anderen zukaufen.
Und als Sahnehäubchen benötigt man noch einige Stimmen von Betroffenen. Im Fall der E-Zigarette Dampfer.
Wenn es geht noch ein Opfer, aber das ist optional.
Fertig ist die Sache.

Man muss nicht einmal das Haus verlassen, um einen solchen „Bericht“ zu machen. Wer also glaubt, hier würden irgendwie Nachrichten aufbereitet oder Reporter hätten investigativ recherchiert, der liegt falsch.
Das erledigen ein oder zwei Redakteure am Rechner, ein Cutter, ein Sprecher auf Honorarbasis und eventuell ein Kamerateam für den Experten.

Anleitung zur Ziegenpisse

Nehmen wir zur Verdeutlichung einfach einmal den Bericht, den RTL Hessen gestern zur E-Zigarette veröffentlicht hat.
Anlass war hierfür offenbar eine Studie, über die vapers.guru bereits berichtet hat. Beziehungsweise ihre Aufarbeitung in der Süddeutschen. Deren Niveau von RTL natürlich mit Leichtigkeit unterschritten wurde.

Wir kochen uns einen Boulevardbeitrag. Aufgepasst liebe Hausfrauen an den Empfangsgeräten. Ich habe das hier schon einmal vorbereitet.

Als Themeneinleitung verwenden wir altes Filmmaterial (Footage) aus einem Vape Shop, das wir vor Monaten einmal aufgenommen haben.
Dazu verkündet der Sprecher aus dem Off:

„Sie kommen stylisch daher. Und sie locken mit Geschmacksrichtungen wie Strawberry Ice oder Cola Cherry. Der aufgedruckte Warnhinweis auf die bestehende Suchtgefahr verdampft bei den Nutzer.“

Das ganze unterlegen wir mit fröhlich-hipper Dudelmusik. Wichtig ist als Kontrast gleich zu Beginn einen dramatischen Höhepunkt zu setzen. („Suchtgefahr!“)
Damit der durchschnittliche RTL Zuschauer den Rest seines spärlichen Aufmerksamkeitspotentials noch für die nächsten zwei Minuten zusammenreißt.

Dampfer haben sich instrumentalisieren lassen

Screenshot RTL Hessen
Der Beitrag auf der Internetseite von RTL Hessen (Foto: Screenshot)

Nun kommen einige interviewte Dampfer aus dem Vape Shop zu Wort. Die damals – so leid es mir tut – so dusselig waren RTL ein Interview zu geben. Sicher in der freudigen Annahme, ein großer Sender würde endlich über die Vorzüge der Dampfe berichten. Verständlich, aber unüberlegt.
Damit haben sie die Rechte an dem Bildmaterial abgegeben. Und RTL kann nun bis zum Sanktnimmerleinstag dieses Material wieder auskramen und nach  eigenen Wünschen zusammenschneiden.

Gemeinsamer Kern der hier zusammengeschnittenen, kurzen Aussagen ist, warum die Vaper auf das Dampfen umgestiegen sind.
Daher schließt auch der Letzte der drei eingespielten Volksstimmen mit dem Satz „…weniger schädlich als Zigaretten“. Woraufhin der Sprecher aus dem Off wieder übernimmt.

„Ein Trugschluss sagt Lungenspezialist Gernot Rohde von der Frankfurter Uni Klinik. Pneumologen, also Lungenärzte, aus aller Welt haben sich zusammengetan, um die aktuellen Fakten zu E-Zigaretten zusammenzutragen.
Das Ergebnis der Studie: Eindeutig.“

Diese Aussage ist schlicht erfunden. Eine solche Verbindung gibt es nicht, hat es nie gegeben und wird es sicher auch nie geben.
Selbstverständlich wird zu dieser Aussage auch weder eine Quelle genannt, noch wird angedeutet wer sich wo wann unter welchem Namen zusammengetan haben soll.

Ein Hinweis findet sich in dem Text, der auf der Internetseite unter dem Video Beitrag steht. Denn der verweist auf eine Veröffentlichung der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie. Mit dem Titel „Aromastoffe in E-Zigaretten können der Gesundheit schaden“. Die aber nicht als Vereinigung von Lungenärzten aus aller Welt zu bezeichnen ist. Spätestens seit Deutschland seine Kolonien in Afrika und Fernost aufgegeben hat.

Diese Veröffentlichung war offenbar der Anlass für den Beitrag. Und dieses Statement des Ärzteverbandes wurde anlässlich des Weltnichtrauchertages veröffentlicht. Und in dem finden wir dann auch den Hinweis auf eine Studie. Über die vapers.guru bereits berichtet hat.
Diese wurde aber nicht von einem weltumspannenden Konglomerat von Pneumologen veröffentlicht. Sondern von einigen Ärzten der Pennsylvania State University.

Die Aussage, es hätte hier eine Studie gegeben, die herausgegeben wurde von Pneumologen der ganzen Welt, die sich dafür zusammengeschlossen haben, ist eine eindeutige Lüge.

Auftritt: Der Experte

Aber gehen wir weiter im Beitrag. Denn der Inhalt erwähnten der Studie, so unsinnig er war, hat nichts mit dem Filmchen zu tun. Der Hinweis diente nur dem Vorgaukeln von Seriösität.

Auftritt: Der Experte.
Ein Mann im weißen Kittel spricht in die Kamera.

„E-Zigaretten sind auch gefährliche Produkte. Der Dampf der erzeugt wird hat entzündungsaktivierende Eigenschaften in den Atemwegen. Aber nicht nur das, sondern auch krebserregende Eigenschaften. Das ist inzwischen eindeutig nachgewiesen.“

Diese Aussagen sind nicht komplette Ziegenpisse. Teilweise sind sie auch nur halbe Ziegenpisse.
Denn zunächst mag man der E-Zigarette eine Gefahr zusprechen. Doch das wird in keinerlei Verhältnis gesetzt. Sinnvoll wäre einen Vergleich. Beispielsweise „gefährlich wie ein Bienenstich“ oder „gefährlich wie ein Gullideckel im Kopf“.

Gernot Rohde
Experte für E-Zigaretten Gernot Rohde (Foto: Screenshot)

Diese Ungenauigkeit beginnt bereits damit, dass es „die“ E-Zigarette nicht gibt. Und das spiegeln auch seine nächsten Aussagen deutlich wieder.
„Entzündungsaktivierende Eigenschaften“ sind in diesem Kontext allgemein besser bekannt als Reizungen. Also genau das, was Raucher und Dampfer ja suchen und wollen. Sie wollen den so genannten Throat und den Lung Hit.
Dass es darüber hinaus generelle Entzündungsvorgänge geben könnte, ist nicht nur nicht bewiesen. Sondern unwahrscheinlich. Prof. Dr. Polosa konnte in seiner dreieinhalb jährigen Beobachtung von Dampfern keine dauerhaften entzündlichen Vorgänge (medizin.: Inflammatio, i.e. „Entflammung“) feststellen.

Und es wurden tatsächlich krebserregende Stoffe im Dampf von E-Zigaretten gefunden. Jedoch in solchen Versuchen, in denen einfache Geräte der ersten und zweiten Generation derart überfeuert wurden, wie sie von einem Dampfer niemals genutzt werden würden. (Kokelstudien)
Im Grunde offenbart uns Prof. Dr. Gernot Rohde hier ein eklatantes Unwissen über E-Zigaretten und zitiert nur irgendwelche Berichte, die er offenbar gelesen, aber nicht hinterfragt hat.

Die Aussage, dies sei „eindeutig nachgewiesen“ ist also schlicht und ergreifend falsch.

Formaldeyd darf nicht fehlen

Es übernimmt wieder der Sprecher aus dem Off.

„Denn die so genannten Liquids, mit denen die E-Zigaretten befüllt werden, enthalten gefährliche Stoffe wie Formaldehyd und Propylenglykol. Das ist vor allem als Frostschutzmittel bekannt.“

Das sind zwei klare Falschaussagen in nur zwei Sätzen.

Zunächst ist Propylenglykol in Liquids enthalten. Eigentlich bildet es sogar mit dem pflanzlichen Fett Glycerin die Basis der Liquids. Doch es ist keineswegs schädlich.
Erst 2016 hat die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin bei der European Chemicals Agency (ECHA) beantragt, dass 1,2-Propandiol (Propylenglykol) als atemwegsreizend zu kennzeichnen sein soll. Die ECHA hat dies verwundert abgelehnt.
Denn Propylenglykol ist nicht vor allem als Frostschutzmittel bekannt. Es ist vor allem Trägerstoff für Lebensmittelaromen, Trägerstoff in Kosmetik und Zahnpasta und Trägerstoff für Nikotinsprays. Die von Pneumologen empfohlen werden. Aber „Frostschutzmittel“ macht sich besser.

Auch die Aussage zu Formaldehyd ist schlicht und ergreifend falsch.
Liquids müssen angemeldet werden, Kontrollen durchlaufen und würde sich Formaldehyd darin befinden, dürften sie nicht verkauft werden.




Formaldehyd entsteht nicht nur in der Verstoffwechselung im Körper. Sondern vor allem wenn Stoffe verbrennen. So auch in gebratenem Fleisch, Pommes Frites oder Chips.
Es wurde tatsächlich Formaldehyd gefunden. Allerdings nicht in den Liquids, sondern im Dampf. Bei den bereits erwähnten Kokelstudien.

Der bekannte Pharmakologe und Leiter des Bereichs Pharmakologie und Toxikologie am Institut für Pharmazeutische Wissenschaften der Universität Graz, Prof. Dr. Bernd Mayer, hat dazu einmal einen Vergleich angestellt. Der inzwischen in Dampferkreisen sprichwörtlich gewordenen ist.

Um die gleiche Menge Formaldehyd aufzunehmen, die in einem Kilo Bananen enthalten ist, muss ein Dampfer bei normalem Betrieb über 40.000 Mal an seiner E-Zigarette ziehen.

„Sie würden das niemals trinken“

Um diese hanebüchenen Aussagen zu untermauern kommt wieder der Experte zu Wort. Das vermittelt den Eindruck, diese zuvor gemachten Aussagen stammen von ihm.

„Sie würden das niemals trinken, aber das wird zum Beispiel dann mit eingeatmet und hat natürlich schädliche Effekte auf die Atemwegsschleimhaut und das Lungengewebe.“

Der aufmerksame Leser (oder Zuschauer) wird hier bemerken: Durch den Schnitt ist nicht nachvollziehbar, wovon der Herr Professor hier nun spricht. Denn die vorherigen Aussagen kamen aus dem Off.
Der Sprecher hätte also ebenso vorher behaupten können, in Liquids seien Ziegenpisse, überfahrene Katzen und Hexensalbe enthalten. Es wird einfach durch den Schnitt impliziert, dass diese Aussage vom Prof selber stamme.

Am leichten Holpern in der Stimme mag man sogar vermuten, dass der Interviewführende hier noch einmal nachgebohrt hatte. Nach dem Motto „Ist das denn auch schön gefährlich?“

Lungenentzündung, Lungenkrebs, Herzinfarkt

Es übernimmt nun wieder der Sprecher von RTL, begleitet von Bildern von einer hustenden Frau und Dampfern, die an der E-Zigarette ziehen.
Warum die Frau hustet ist nicht ersichtlich, es schein aus anderem Filmmaterial übernommen zu sein. Sie kommt ansonsten in dem Beitrag nich vor.

„Die Folgen können unter anderem Lungenentzündung und Lungenkrebs sein. Außerdem steigt das Herzinfarktrisiko.“

Die Folgen von was genau?
Würden die vorherigen Aussagen irgendeinen Wahrheitsgehalt beinhalten, könnten diese Aussagen eventuell richtig sein. Der Konjunktiv erleichtert einiges.
Da aber nicht einmal das aus dem Kontext hervor geht, ist gar nicht klar, was zu Lungenkrebs führen könnte. Denn wenn man jemandem eine E-Zigarette in die Nieren rammt, könnte der auch Probleme beim Wasserlassen entwickeln.

Bis heute ist weltweit kein einziger Fall medizinisch beschrieben und es legt kein reproduzierbares Ergebnis einer Studie nahe, dass der regelmäßige Konsum von Dampf aus E-Zigaretten irgendeine dauerhafte gesundheitliche Beeinträchtigung mit sich bringt. Von Lungenkrebs ganz zu schweigen.

Überflüssig zu erwähnen, dass die Schlagwörter von Formaldehyd bis Herzinfarktrisiko schriftlich eingeblendet werden.

Explodierende Akkus

„Schon vor zwei Jahren wurde massiv gewarnt vor den elektrischen Zigaretten, allerdings aus einem anderen Grund. In einigen Modellen explodierten die Batterien.“

Explodierende Akkus
Darf nicht fehlen: Typisches „Surveillance Footage“ von „explodierenden Akkus“.

Es ist unklar, wer wann wovor gewarnt hat. Das wird nicht weiter erwähnt.
Ebenso unerwähnt bleibt, dass auch Akkus in anderen Geräten regelmäßig zu Unfällen führen. Über die völlig unzutreffende und laienhafte Erklärung „Batterien“ „in einigen Modellen“ würden „explodieren“ mag man sich kaum noch erregen.
Unterlegt wird das Ganze aber mit den bekannten Filmchen von Überwachungskameras, in denen den Leuten Akkus in der Hosentasche entgasen. Üblicherweise weil sie ohne Schutzhülle eingesteckt wurden. Was also auch ohne E-Zigaretten passiert wäre. Oder ist.

Als nächstes wird kurz noch einmal der Fall von Anas Elbachiri geschildert. Denn das Filmmaterial war noch warm, der ursprüngliche Bericht von RTL stammt vom Oktober des vergangenen Jahres.
Dem 29 Jährigen war ebenfalls der Akku in der Hosentasche entgast. Den er sich ungeschützt eingesteckt hatte.

Damit haben wir nicht nur Volksstimme und einen Experten, sondern sogar einen geschädigten.
Wundervoll, Medien können so einfach sein.

E-Zigaretten sind Einstiegsdrogen

„Trotz solcher Fälle steigt der Konsum von E-Zigaretten kontinuierlich an. Gerade bei Jugendlichen liegt das Dampfen voll im Trend.“

Diese Aussage des Sprechers ist mindestens irritierend. Denn der Verkauf von E-Zigaretten an Minderjährige ist in Deutschland verboten.
Woher also diese Erkenntnis? Wer hat das festgestellt? Wie wurde das gemessen?
Fragen über Fragen.

„Durch das enthaltene Nikotin wird der Glimmstengel zur Einstiegsdroge. Suzusagen.“

Diese Aussage ist schlicht ausgedacht.

Im vergangenen Jahr hat Prof. Dr. Linda Bauld von der Universität in Stirling in Schottland eine Metastudie durchgeführt. Sie wertete mit ihrem Team Daten von mehreren Erhebungen aus. Dadurch kamen Daten von 600.000 Jugendlichen über einen Zeitraum von drei Jahren zusammen.

Prof. Dr. Linda Bauld
Prof. Dr. Linda Bauld hat den Gateway Effect beim Dampfen widerlegt. (Foto: Universität Stirling)

Das Ergebnis wäre für RTL überraschend ernüchternd. Nur zwischen 0,1% und 0,5% der Jugendlichen nutzten mindestens einmal wöchentlich eine E-Zigarette, obwohl sie zuvor nicht geraucht hatten.
Eine Bewegung von der E-Zigarette zur Tabakzigarette war offenbar so selten, dass diese Bewegung in der Studie gar nicht beziffert wurde. Oder werden konnte. Prof. Bauld bezeichnete es als sehr sehr selten bis außergewöhnlich.

Die Behauptung des Sprechers ist also schlicht erlogen. Es mag sein, dass sich dieses Bild durch die gebetsmühlenartige Wiederholung in den Medien in den Köpfen der Menschen bereits festgesetzt hat. Sie ist dennoch unwahr.
Was auch jedem Dampfer einleuchtet. Denn Dampfen ist preiswerter und schmeckt besser. Ein Jugendlicher mit klammer Geldbörse, der bereits dampft, hat keinen logischen Grund auf Tabakzigaretten umzusteigen.

Nikotin macht schnell süchtig

Dennoch bestätigt unser Professor dies spannenderweise indirekt. Obwohl auch dies wieder durch einen Schnitt von der vorherigen Aussage des Sprechers getrennt ist.

„Man atmet das Nikotin ein und das Gehirn gewöhnt sich an die Nikotinwirkung und verlangt nach immer mehr und man wird… kann da relativ schnell von abhängig werden.“

An dieser Stelle wird der oben erwähnte Prof. Dr. Mayer von der Uni Graz sicher an die Decke gehen. Denn er gilt als einer der renommiertesten Wissenschaftler, der sich mit dem Thema Nikotin befassen. Und er besteht vehement darauf, dass eine Suchtwirkung bei Nikotin in Abwesenheit von Tabak schlicht nicht nachgewiesen ist.

Der Pneumologe gibt hier einen Stand der Erkenntnis wieder, der aus der Zeit stammt, als Nikotin mit Tabak gleichgesetzt wurde. Doch Tabak enthält so genannte Monoaminooxidasehemmer (MMOH), welche die Suchtwirkung nachweislich deutlich verstärken.

Niemand bestreitet, dass Tabakzigaretten süchtig machen können. Doch würde es am Nikotin alleine liegen, wären einige Dinge schlicht unerklärlich.
Beispielsweise dass es weltweit seit jahrzehnten keinen einzigen beschriebenen Fall eines Menschen gibt, der von Nikotinpflastern, Sprays oder Nikotin Kaugummis abhängig ist.
Selbst der unter Wissenschaftlern hoch verehrte Suchtforscher Fagerström hat seinen berühmten „Test für Nikotinabhängigkeit“ inzwischen umbenannt in „Test für Zigarettenabhängigkeit“.

Ebenso ins Reich der Phantasie gehört, dass das Gehirn immer mehr und mehr verlangt. Das mag auf Opiate wie Heroin zutreffen. Durch einen Gewöhnungseffekt, Fachbegriff Tolleranz. Doch bei einer „Überdosierung“ von Nikotin durch Inhalation wird dem Konsumenten schwindelig und übel.
Jeder Raucher findet irgendwann seine eigene Dosis, von der er dann bis zum frühen Lebensende im Mittel kaum noch abweicht.

Dramaturgische Steigerung

Nun übernimmt der Sprecher noch einmal für zwei Sätze, die diese Phantasie noch einmal exponentiell steigern.

„Studien dazu belegen, dass die E-Zigarette häufig als Einstieg zum Rauchen richtiger Zigaretten dient.“

Siehe oben. Linda Bauld. Schottland. 600.000 Jugendliche.

„Das Dampfen ist also keineswegs so harmlos, wie die Tabakindustrie es uns weißmachen würde.“

Und mit diesem Schlusssatz wird endgültig deutlich, wes Geistes Kind der zuständige Redakteur ist. Und vor allem, welche Rechercheleistung dahinter steht.

Natürlich hat jede Form von Nikotin etwas mit der Tabakindustrie zu tun. Denn er wird üblicherweise aus Tabak gewonnen, auch wenn das prinzipiell aus allen Nachtschattengewächsen wie Tomaten oder Auberginen möglich wäre.

Doch das Bild, die Tabakindustrie wolle hier etwas glauben machen, entbehrt jeglicher Grundlage.
Der Markt der E-Zigarette wird bestimmt von kleinen und mittelständigen Betrieben. Der Großteil der Produzenten von Geräten sitzt in China. Die haben mit Tabak überhauptnix zu tun. Und die meisten Produzenten von Liquids hierzulande sind kleine Unternehmen. Die wären sicher überrascht zu erfahren, ein Teil der Tabakindustrie zu sein.

Rhetorische Taschenspielertricks

Aber hier wird ein rhetorischer Trick angewendet, der in seiner Hinterhältigkeit kaum zu widerlegen ist. Es wird nämlich etwas scheinbar widerlegt, was gar nicht stattgefunden hat.

Ein Beispiel für diese rhetorische Figur: „Gummibärchen sind also nicht so lecker, wie die NASA uns glauben machen will.“
Diskutiert man nun, ob Gummibärchen nun lecker sind oder nicht, geht dabei völlig unter, dass sich die NASA selbstverständlich niemals zu dem Geschmack von Gummibärchen geäußert hat.

Nicht die Tabakindustrie hat sich zur E-Zigarette geäußert. Die hat mit Dampfen kaum etwas zu tun.
Für die „Harmlosigkeit“ von E-Zigaretten plädieren die Dampfer selber, die das Dampfen in einer Grassroot Bewegung groß gemacht haben. Dafür plädieren immer mehr Wissenschaftler, Mediziner und Harm Reduction Verfechter.
Dafür plädiert auch die britische Gesundheitsbehörde Public Health England und das weltweit hoch angesehene College of Physicians, eine Ärztekammer in London.

Die staatliche PHE bescheinigt der E-Zigarette ein mindestens 95% geringeres Risiko als der Tabakzigarette. Und ein um 99,5% geringeres Krebsrisiko.

Kann ein Professor wirklich so naiv sein?

Das sind die Fakten, die man dem Pneumologen aus Frankfurt vielleicht einmal mitteilen sollte. Bevor er sich wieder einmal vor die Kamera setzt und mit seinen kruden Aussagen dabei mithilft, Raucher davon abzuhalten, auf eine weit ungefährlichere Methode umzusteigen.
Es ist nur schwer zu glauben, dass ein Professor so wenig Kompetenz besitzt. Und das dann auch noch unbeabsichtig in eine Kamera von RTL spricht.


EDIT, 20:07h: Ein Leser unserer Facebook Seite hat mich soeben auf etwas aufmerksam gemacht, dass mir tatsächlich entgangen ist.
In Studien, welche in Fachjournalen veröffentlicht werden, müssen üblicherweise eventuelle Interessenskonflikte angegeben werden.
In einer 2015 veröffentlichten Studie wurde angegeben, dass Prof. Dr. Rohde, damals noch in Maastricht, Honorare von Pfizer, Novartis, Chiesi, Astra-Zeneca, GSK und Takeda erhalten hat.
Pfizer, Novartis und GSK (GlaxoSmithKline) sind die drei größten Hersteller von Nikotinersatzprodukten.
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4350292/


Bei den Redakteuren, die so etwas herausbringen, ist jede Argumentation indes sinnlos. Die interessieren schlicht Zuschauerzahlen. Was sie verbreiten müssen um diese zu erreichen, ist ihnen egal.
Es zwingt einem schon Respekt ab, wie die Redakteure in diesem Fall alle Falschaussagen und Vorurteile zur E-Zigarette in kaum zweieinhalb Minuten unterbringen konnten. Es war wirklich alles dabei, Hut ab.

Aber vielleicht ist dieser Artikel ja wenigstens geeignet, den Dampferinnen und Dampfern zu zeigen, wie leicht es ist, einen manipulativen Bericht zu fertigen. Und wenn nur ein Nichtraucher oder Raucher das liest, dann ist etwas erreicht.
Denn selbst wenn dieses Machwerk dem Presserat vorgelegt würde, würde nicht viel dabei herauskommen. Für eine Lüge muss man dem Menschen nachweisen, dass er wissentlich die Unwahrheit gesagt hat. Und das dürfte bei Medien immer schwer werden.

Regelmäßige Lesern von vapers.guru werden erahnen, was das Schlusswort dieses Artikels sein wird.

Ziegenpisse!


Bericht zum Artikel der Süddeutschen: https://www.vapers.guru/2018/05/14/freie-radikale-in-e-zigaretten/
Studie von Public Health England: https://www.vapers.guru/2018/02/07/offizielle-richtungweisende-studie/
Langzeitstudie von Dr. Polosa: https://www.vapers.guru/2017/11/22/langzeitstudie-keine-schaeden-durch-e-zigarette/
Zum Potential der E-Zigarette: https://www.vapers.guru/2017/10/05/studie-e-zigarette-kann-6-millionen-leben-retten/
Studie von Prof. Dr. Bauld: https://www.vapers.guru/2017/09/01/studie-widerlegt-gateway/

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Joey Hoffmann

Begründer und inhaltlich Verantwortlicher bei vapers.guru
Freier Redakteur, zuvor angestellter und selbstständiger Marketingberater und Mediengestalter, Fachbereich Facebook und Wordpress. Mitglied des Deutschen Fachjournalisten-Verbandes.

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