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Leserfrage: Passivdampf während der Schwangerschaft gefährlich?

Verunsichernde Informationen und null Aufklärung

In der vergangenen Nacht erreichte mich eine Anfrage einer nicht-Leserin, der ich von ihrer Mutter empfohlen wurde.

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Sie ist schwanger. Ihr Freund raucht; und dampft um weniger zu rauchen. Nun macht sie sich natürlich Sorgen. Und im Internet stünde irgendwie alles, von „hoch chemisch bis tödlich“ bis zu man-weiß-es-nicht-vielleicht-nicht-ganz-so-schlimm.
Ich möchte mir die Zeit nehmen, das ausführlich zu beantworten.

Für diejenigen, die mich nicht kennen, weise ich erneut darauf hin: Ich bin professioneller und hauptberuflicher Blogger und Fachjournalist, stelle weder E-Zigaretten her noch vertreibe ich welche und stehe in keinem Abhängigkeitsverhältnis.

Das dicke Ende gleich am Anfang:
Ich halte Dampfen in der Wohnung einer Schwangeren für vollkommen harmlos. So harmlos, dass ich mich traue, das öffentlich so zu behaupten.

Um einen Eindruck zu vermitteln, warum ich das so ungehemmt sage, muss ich aber auch erklären, warum ich dazu komme. Und auch warum so viele verunsichernde Informationen durch das Netz schwirren.

Bevor wir aber in die Tiefen der Wissenschaft abtauchen, bemühen wir doch zunächst einmal den so genannten gesunden Menschenverstand. Das macht Relationen klarer.

Es gibt da mehrere Hürden

Rauchen während der Schwangerschaft ist ein Unding. Ich denke, da muss man nicht mehr diskutieren.

Aber bereits bei diesem Grundsatz sollte man die Relationen nicht vergessen: Jahrhundertelang haben auch Schwangere geraucht. Wenn also die Schwangere selber raucht, ist das keine Garantie, dass das Ungeborene dadurch geschädigt wird.
Tabakrauch bringt einige wirklich widerliche Effekte mit sich, die an den Fötus weitergereicht werden können. Und das sollte man vermeiden, wo es nur geht.

Doch hier geht es nur um die passive Aufnahme. Das ist also bereits die erste Einschränkung. Es werden nur Bruchteile von dem aufgenommen, was beim aktiven Konsum aufgenommen wird und in den Organismus gelangt.

Die nächste Hürde ist, dass es nicht um Tabakrauch geht, also Verbrennungsprodukte und Feststoffpartikel. Sondern um das Dampfen.
Fälschlicherweise gehen viele Menschen nach wie vor davon aus, das Nikotin sei das Gefährlichste am Tabakrauch. Das ist schlicht falsch.
…was aber bitte auch nicht bedeutet, dass Nikotin deshalb harmlos für das Ungeborene ist. Es geht erstmal nur um Relationen.

Die britische Gesundheitsfürsorge Public Health schätzt das Risiko von E-Zigaretten im Vergleich zu Tabakzigaretten mindestens 95 Prozent geringer ein. Das Krebsrisiko sogar 99,5 Prozent geringer. Was einem Restrisiko wie im Straßenverkehr einer Großstadt entsprechen dürfte.
Das liegt vor allem daran, dass bei der E-Zigarette eben nichts verbrannt oder verglimmt wird. Es entstehen also keine Verbrennungsprodukte. Die weit gefährlicher sind, als das Nikotin.

Soweit die Grundlagen. Aber es geht ja noch weiter.

Liebevolle Kläranlagen

Die E-Zigarette hat auch noch eine sehr eigene Funktionsweise, die sie in diesem Kontext von einer Tabakzigarette unterscheidet. Es kommt nämlich nur etwas heraus, wenn man dran zieht. Es muss also eh schon weniger sein.
Eine verglimmende Tabakzigarette produziert immer die gleiche Menge Rauch. Egal ob jemand an ihr zieht, oder sie im Aschenbecher verkokelt. Das nennt man u. a. auch Beistrohm, secondary smoke oder sekundäre Emission.

Das gibt es bei der E-Zigarette nicht. Eine E-Zigarette gibt nur das ab, was auch inhaliert wird.
Was nichts anderes bedeutet, als dass der Dampfer mit seiner Lunge freundlicherweise bereits alles filtert, was er seiner Umwelt zumutet. Denn unser ganzes respiratorisches System ist auch eine große Filteranlage, Schadstoffe werden in den Bronchien aufgefangen und abtransportiert.

Das bedeutet also, der Dampfer zieht an seiner E-Zigarette, die sonst nichts abgibt. Seine Lunge filtert viele Stoffe und Partikel aus, die dann beispielsweise über seine Leber abgebaut werden. Das Nikotin geht fast komplett in seine Blutbahn. Wo es nach 30 – 60 Minuten abgebaut ist. Was er auspustet, müsste von der werdenden Mutter wieder aufgenommen werden. In ihrer Lunge würde es erneut gefiltert. Und nur was dieser sehr strenge Mutti-Türsteher dann noch durchlässt, könnte überhaupt noch das Ungeborene erreichen.

Die angeblich böse Chemie

Und das führt dann zum letzten Punkt. Zu der angeblich bösen Chemie, die verdampft wird.
Die Liquids von E-Zigaretten bestehen vor allem aus vier Komponenten.

Zum ersten aus Propylenglykol (1,2-Propandiol). Was sich so wild anhört, ist als Lebensmittelzusatzstoff E 1520 zugelassen und findet sich auch in Zahnpasta, Gleitgel, Duschgel und dem Futter für Milchvieh. Es ist seit 1942 in den USA als Zusatzstoff für Medikamente zugelassen. Seitdem wird es beforscht und es gibt keinerlei Hinweise auf irgendwelche Gefahren.

Die zweite Grundzutat ist Glycerin. Das ist ein Zuckeralkohol, der aus Pflanzen gewonnen wird. Deshalb heißt es eigentlich Vegetable Glycerin (VG; „pflanzliches“ Glycerin), was im Deutschen gerne fälschlich als „veganes Glycerin“ übersetzt wird. Wegen dem „V“.
Sensationsheischende Medien titeln gerne damit, dass es auch als Frostschutzmittel eingesetzt wird. Aber das kann nun einmal jeder Alkohol. Sein Autoschloss bekommt man auch mit Doornkaat frei.

Glycerin wird als Lebensmittelzusatz E 422 als Feuchtigkeitsmittel verwendet, unter anderem in Kaugummis und Trockenfrüchten (Dörrobst). Und es wird in der Medizin verwendet, beispielsweise zur Behandlung von Hirnödemen.

Diese beiden Komponenten sind auch die Basis für Disconebel und Theaternebel. Nur dass sie dort nicht in medizinisch reiner Form verwendet werden müssen, wie in Liquids. Sie wurden auch lange Zeit in Asthma-Inhalatoren verwendet und sind bis heute die Basis für Nikotin-Sprays.

Die anderen beiden Komponenten sind Aromen und das Nikotin. Die ja netterweise im Körper ausgefiltert werden.
Der Pharmakologe und Institutsleiter der Uni Graz Prof. Dr. Mayer hat einmal gesagt, er kann sich nicht einmal einen Mechanismus vorstellen, wie Aromen durch die Lunge in die Blubahn gelangen sollten.
Und das Nikotin ist das gleiche wie in Pflastern und Sprays, die Schwangeren empfohlen werden, wenn sie die Finger nicht von der Kippe lassen können.



Das Problem mit der Wissenschaft

Wenn nun viele verwirrende Informationen im Internet stehen, dann hat das gleich drei Gründe. Die nicht unbedingt etwas damit zu tun haben, dass jemand der E-Zigarette etwas Böses will.

Zum ersten muss jeder Mediziner immer erstmal abraten. Das ist der Fluch der Mediziner.
Denn die Wissenschaft geht ja immer nur danach, was bewiesen werden kann. Aber eine Unschädlichkeit kann man nicht beweisen. Niemals, bei nichts. Das ist eine Frage der wissenschaftlichen Logik. Also muss jeder Mediziner immer im Hinterkopf haben: „Es könnte ein Restrisiko geben, das wir noch nicht kennen.“
Man könnte Wissenschaftler auch nach der Gefährlichkeit von Wasser fragen, und wenn sie wirklich sorgfältig sind, würden sie weit ausholen. Mediziner und Juristen studieren sehr lange, um sagen zu können „Es kommt darauf an“.

Der zweite Grund ist, dass die Frage nach der Schädlichkeit des Passivdampfes für ein Ungeborenes ja eigentlich aus vier Teilen besteht. Und das kann kein Wissenschaftler in einer einzigen Studie wirklich beantworten.
Der erste Schritt ist, was aus der E-Zigarette herauskommt (Emission). Der zweite Schritt, was dann den Körper des Dampfers wieder verlässt und was drin bleibt. Da wird es schon schwierig. Die dritte Stufe ist, was der Passivdampfer wieder aufnimmt. Und das ist beispielsweise davon abhängig, wieviel gedampft wird, was gedampft wird oder wie groß der Raum ist. (Raumluftbelastung) Die vierte Frage ist, was die Schwangere dann nochmal filtert und was das Ungeborene überhaupt noch erreichen könnte.

Und das führt zum letzten Grund: Die so genannten Kokelstudien.
Für die Untersuchung der Emissionen werden üblicherweise so genannte Rauchroboter (Smoking Machines) verwendet. Oft die gleichen wie für Tabakzigaretten. Solche Roboter merken aber nicht, wenn eine E-Zigarette überhitzt oder der Liquid Nachfluss abreißt. Denn bei einer Tabakzigarette ist das egal, es macht wenig Unterschied. Bei E-Zigaretten ist das aber entscheidend. Denn dann werden viel mehr Schadstoffe produziert, was aber kein Dampfer inhalieren würde.

Inzwischen findet da endlich eine Entwicklung statt. Aber die Studien, die solche Emissionen untersucht haben, stammen alle aus Jahren, in denen noch diese Smoking Machines verwendet wurden. Und sie haben häufig gar nicht untersucht, was Dampfer wieder ausatmen, sondern nur was aus der E-Zigarette kommt.

Nix genaues weiß man nicht… angeblich

Gehen wir also ans Eingemachte. Was sagt die Wissenschaft?

Die ersten, die das wohl untersucht haben, war das Frauenhofer Institut (WKI) in Braunschweig 2012. Die haben aber lediglich festgestellt, dass es überhaupt so etwas wie „passiv Dampfen“ gibt. Also dass Stoffe in die Raumluft abgegeben werden.
Sie haben weder untersucht, wieviel davon andere aufnehmen, noch ob das schädlich sein könnte. Sie stellten aber fest, dass kein Formaldehyd ausgeatmet wird. Die festgestellte Menge entspricht genau der Menge, die jeder Mensch sowieso ausatmet. Das wurde inzwischen in vielen Versuchen bestätigt.

Die Clarkson University in New York State kam 2012 beim Passivdampf zu dem Ergebnis: „Elektronische Zigaretten produzieren sehr geringe Mengen der gemessenen Stoffe im Vergleich zu Tabakzigaretten. Die Studie legt kein ersichtliches Risiko für die menschliche Gesundheit nahe […]“

Eine Studie des Roswell Park Center Institute in den USA 2013 war eine typische Kokelstudie. Doch selbst diese Untersuchung kam zu dem Ergebnis, dass die abgegebene Menge Nikotin zehn Mal geringer war, als bei Tabakzigaretten und keine anderen typischen Schadstoffe in die Raumluft abgegeben werden. Wieviel man davon überhaupt passiv aufnimmt, beantwortet auch diese Studie nicht.

Im Jahr 2015 veröffentlichte das Deutsche Krebsforschungsinstitut DKFZ in Heidelberg ein Paper „Aus der Wissenschaft, für die Politik“ unter dem Titel „Belastung der Innenraumluft durch Emissionen von E-Zigaretten“.
Für diese Broschüre wurde nicht selber geforscht, sondern es wurden Ergebnisse anderer ausgewertet. Und sie ist unglaublich tendenziös. Was sicher daran liegt, dass die damalige Leiterin der verantwortlichen Stelle, Dr. Matina Pötschke-Langer, eine fast legendäre Gegnerin der E-Zigarette ist und inzwischen eine Lobbyorganisation leitet, die auch durch die Pharmaindustrie gesponsert wurde.
Unter anderem wird behauptet, dass die abgegebenen krebserregenden Substanzen zwar „sehr gering“ seien, es aber auch keinen Schwellwert gäbe. Und Propylenglykol und Glycerin, die als Lebensmittelzusatz zugelassen sind, werden unter „zum Teil gefährlichen Stoffen“ subsummiert.

Das Umweltbundesamt schrieb in einer Veröffentlichung zu E-Zigaretten 2016 lediglich, dass beim Passivdampf „Gesundheitsschäden nicht ausgeschlossen werden können.“ Was man genauso formulieren könnte als „Gesundheitsschäden sind nicht nachgewiesen“.

Relationen sind wichtig

Es ist verständlich, wenn Menschen verunsichert sind. Umso mehr werdende Mütter, die sich nie damit befasst haben.

Ich hoffe, ich konnte eine Relation geben. Und auch darlegen, warum viele Informationen so verwirrend sind und sogar widersprüchlich erscheinen. Eine Tatsache, die inzwischen von vielen Wissenschaftlern und Medizinern stark kritisiert wird.

Ich habe selber über drei Jahrzehnte geraucht. Ich weiß wovon ich spreche, wenn ich es herunterbreche:

  • In der Schwangerschaft rauchen: Totales No-Go. Aber bitte unaufgeregt und ohne Pranger. Es ist eine hartnäckige und üble Abhängigkeit.
  • In der Schwangerschaft dampfen: Wenn man es gar nicht lassen kann, mit Nikotin. Unaufgeregt, der Stress des Entzugs kann für das Ungeborene auch gefährlich sein. Besser ohne Nikotin, das kann über das Gröbste hinweghelfen. Mir liegen keine Informationen vor, die auch nur andeuten, dass Dampfen ohne Nikotin zur Ersatzbefriedigung irgendwie schädlich sein könnte.
  • Schwangere Tabakrauch aussetzen: Finde ich sogar schlimmer, als wenn Schwangere es nicht lassen können. Schickt den Typen auf den Balkon, Mädels. Wenn er das nicht will, wollt Ihr ihn nicht als Vater Eures Kindes.
  • Schwangere Dampf aussetzen: Völlig harmlos. Eher bilden sich Schlieren auf den Fenstern, als dass das Ungeborene etwas halbwegs Gefährliches erreichen könnte.

Das Einzige, was ich an dieser Stelle kritisieren muss ist, dass der Freund der nicht-Leserin offenbar auch noch raucht. Es gibt inzwischen so gute Umsteigergeräte, er sollte sich mal vernünftig im Fachhandel beraten lassen. Wahrscheinlich nur das falsche Gerät. (D2L)
Wenn nicht jetzt, wann dann? Einen schöneren Grund kann es doch nicht geben.

Und Gruß an die Mutti.
Muttis haben immer Recht.


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Joey Hoffmann

Begründer und inhaltlich Verantwortlicher bei vapers.guru
Freier Redakteur, zuvor angestellter und selbstständiger Marketingberater und Mediengestalter, Fachbereich Facebook und Wordpress. Mitglied des Deutschen Fachjournalisten-Verbandes.

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